Andreas Eichstaedts
Flucht-Paradiese
Malende Architekten haben seit je die bildende Kunst auf spezifische Weise beeinflusst. Geprägt durch ihre oft rationale Bildlogik, mit der sie Außenräume (Landschaften, Plätze, Gebäude) einschätzen, bringen sie ihren besonderen Blick für Raumsituationen mit. Sie tendieren dann eher zu konstruktivistischen Bildlösungen, indem sie die Welt mittels Wagerechter, Senkrechter und spitzer Winkel vermessen und in Flächen segmentieren.
Andreas Eichstaedt ist ein malender Architekt der Landschaft, Stadtgestalter und Denkmalpfleger. Er schafft sich die Welt nach seinem Bilde, indem er das Geschaute auf Gerade, Schräge, Kreise reduziert, Formen kontert, Kuben ineinander schiebt und daraus Ideal-
landschaften aus geordneten Farbfeldern und -räumen baut. Das rationale Element wird ihm zu ästhetischer Konstante mit künstlerischer Gültigkeit. Damit gelingt ihm der Sprung von der Architektur in die freie Kunst.
Solche Doppelbegabung reizt ihn zur Darstellung von weiten Räumen, die dann mit scharfen Schnitten gegliedert und zu großen Tiefen mit fernen Horizonten gesteigert werden. Die konkrete Landschaft - etwa das “ewige” Meer, der Psychoanalyse längst als Symbol für das Unbewusste, Unendliche bekannt - wird dabei auf Breitformaten in klare Formen verwiesen.
Der Mensch ist selten anwesend, allenfalls als Winzling in weitem Revier, wandernd auf einem Weg ins Irgendwohin oder abwartend vor tiefem Abgrund. Man denkt an Hercules Segers stimmungsvolle Fernen oder an Caspar David Friedrichs “Mönch am Meer”.
Eichstaedts Welt ist unwohnlich. Sie scheint zuweilen eingefroren, zubetoniert, keine Heimstatt. Melancholie lastet auf seinen Bildern. Schwarze Balken zerschneiden friedvolles Terrain. Solche Sujets erwärmen wohl den Architekten als wären es Idyllen oder Flucht-Paradiese. Er begeistert sich an unendlichen Himmeln, fernen Küsten, steilen Klippen, einsamen Parks und verlassenen Architekturen. “Zwillingsfelsen” verweisen auf eine zerrissene Welt und lassen Assoziationen zum 11. September zu. Formen werden mitunter zerstückt in Fragmente, deuten auf Zerfall und Vergänglichkeit oder auf Zeitreisen zu antiken Stätten. Dann wieder beobachtet er Boote und Segelschiffe auf großer Fahrt zwischen den Welten oder angekommen im heimatlichen Hafen. Die Bildmotive verdichten sich zu Metaphern.
Oft verspannt er Räume mit Liniennetzen und setzt dabei bald herb, bald schwungvoll Bewegung neben harte Kontur. “Doch an Blumen fehlt‘s im Revier!” Unmittelbar Lebendiges, Pulsierendes scheint nicht sein Metier. Statik obwaltet.
Andernfalls kann man sich auch den Blick aus einem vorbeirasenden Zug vorstellen, wenn sich Farben und Formen zu Farbstreifen verdichten und verknappen.
So strukturiert er weite Fernen zu imposanten Raumerlebnissen, die er mit Licht verfüllt und ins Meditative, Kontemplative und mitunter gar Surreale rückt. Er schafft magische Orte, und die Sonne wandelt er zur Spirale ins Überirdische, Unendliche.
Es gibt in seinen Arbeiten abstrakte Titel wie “Komposition” oder - philosophischer - “Macht und Zeit”. Man könnte auch sagen: Körper und Raum oder Raum und Fläche. Alles scheint auf Ewigkeit angelegt. Vorwiegend Leere passiert, Ästhetik herrscht als Geometrie pur.
Und dennoch sind es oft Bild-Reflexionen von seinen Reisen in seine Lieblingsländer, die wir schon ahnen: Skandinavien, Irland und immer wieder Küstenbereiche mit Meerblick. Hier streichelt er sehnsuchtsvoll seine Seele. Die rationalen “Cuttings” eines Feiningers fallen einem da ein, der von der Musik zur Malerei gekommen ist, seine bewundernswert klaren Dünen-Motive etwa, diese sowohl zeichnerischen als auch malerischen Delikatessen, und seine ebenfalls auf Harmonie reduzierte und “ausgedünnte” Farbigkeit, die rein Atmosphärisches im Sinn hat. Eichstaedt scheint diesbezüglich dessen Bruder im Geiste. Zudem zählt er auch Glöckner, Burger, Itten und Weschke zu seinen künstlerischen Wahlverwandten.
Eichstaedts Bleistiftzeichnungen, rasch vor Ort notiert, etwa auf Hiddensee oder in Italien, sind indes lockerer, freier und bezeugen Unmittelbarkeit. In ihnen atmet der Künstler, in ihnen spürt man auch seinen Puls. Da stenografiert er handwarm Landschaftseindrücke, hält Stimmungen fest und lässt die Perspektiven fluchten. Aus ihnen destilliert er später seine Bilder, indem er die Skizzen konsequent seiner klaren minimalistischen Formensprache unterzieht.
Seine Farbpalette besteht vorwiegend aus Grautönen, denen er Grüns, Gelbs, Blaus und manchmal intensives Rot beigibt. Daraus komponiert er dann jene oft monophonen Sinfonien in Grau, die er mitunter mehrfach übermalt, bis er Harmonie verspürt, genau abgestimmt auf einen Kammerton, der Stille und Besinnlichkeit suggeriert.
Wer ist so einer, der so malt; der mit Vorliebe im Monochromen abenteuert und zugleich in tektonischer Monumentalität; der das Kolossale, Ewige liebt, die Unendlichkeit, die Ur-Ruhe; der den Dunst der Ferne mag und auf unterkühlte Schönheit setzt; der die Welt in seinen Bildern vorbei treiben lässt als wäre es Niemandsland und absolute Schöpfung; der alles Bunte scheut, das Zufällige, den Plot; der in die Allgewalt der Natur Bedrohlichkeit, Einsamkeit, aber auch Erbauung impliziert? Derart schlägt das Pendel der Emotionen zuweilen stark aus.
Vielleicht ist in Eichstaedts Künstlerseele eine Symbiose aus Konstruktivist und Romantiker verborgen? Den Betrachter jedenfalls können seine Bilder in faszinierende, imaginäre Welten entführen.
Dr. Maren Kratschmer-Kroneck